Präsentismus – Krank zur Arbeit

Krank zur Arbeit

Präsentismus, also trotz Krankheit zur Arbeit zu gehen, birgt hohe Risiken und ist weit verbreitet. Laut einer Befragung des AOK-Bundesverbandes ist besonders die Pflegebranche davon stark betroffen.

Durch den öffentlichen Appell, bei Krankheitssymptomen zu Hause zu bleiben, sowie die flexiblere Gestaltung von Arbeitsstätten in den letzten zwei Jahren der Corona-Pandemie, ist Präsentismus in den Jahren 2020/21  zurückgegangen. Wie der DGB-Index „Gute Arbeit“ aufzeigt, gaben in der Beschäftigtenbefragung des Jahres 2021 immer noch 48 % aller Befragten an, im Vorjahr mindestens einmal gearbeitet zu haben, obwohl sie sich richtig krank fühlten. Frauen taten dies mit 53 % häufiger als Männer mit 43 %. 2019, also vor der Corona-Pandemie, waren es sogar 69 % der weiblichen und 62 % der männlichen Befragten, die krank zu Arbeit gingen.

Gründe für Präsentismus

Präsentismus scheint besonders dort oft aufzutreten, wo Beschäftigte von einer belasteten Betriebskultur berichten. Laut IGA-Fakten Report 6 gilt u. a. Arbeitsverdichtung als einer der großen Risikofaktoren für Präsentismus. Fehlende Wertschätzung durch Führungskräfte und ein Mangel an Unterstützung sind ebenfalls Gründe, warum Beschäftigte trotz Krankheit arbeiten.

Wenn sich Beschäftigte Sorgen um den Verlust ihres Arbeitsplatzes machen, arbeiten diese besonders häufig krank. Vor allem Selbstständige drücken im Krankheitsfall finanzielle Sorgen, welche laut Johansen, Aronsson und Marklund (2014) dafür sorgen, trotz Krankheit zu arbeiten.

„Krank zur Arbeit“ wird in manchen Betrieben und Abteilungen sogar als besonderes Engagement gesehen. Fehlen bei einer Erkältung oder Unwohlsein gilt dort als minder engagiert. Die Arbeitsbedingungen spielen bei der Entscheidung, trotz Krankheit zu arbeiten, offenbar eine wichtige Rolle.

Ursachen dafür sind sowohl auf personenbezogener, arbeitsbezogener und organisationsbezogener Ebene zu finden.

Wenn nur eine Person alles Wichtige weiß, um Aufgaben zu erledigen, kann sich der Einzelne nur schwer zurückziehen. Die Zusammenarbeit mit Menschen, besonders in sozialen Berufen, erschwert es persönliche Grenzen zu ziehen. Denn das gute Zwischenmenschliche steigert auch das Verantwortungsgefühl füreinander und das individuelle Gefühl, unersetzbar zu sein, fördert Präsentismus signifikant.

Beschäftigte, die krank arbeiten, neigen dazu, die eigenen körperlichen Symptome und Missbefindenszustände nicht ernst zu nehmen.

Präsentismus erhöht die Fehlerhäufigkeit, verursacht hohe Kosten und schwächt Unternehmen und Beschäftigte langfristig

Nicht nur die eigene Gesundheit wird gefährdet, sondern z. B. bei Infektionserkrankungen durch eine mögliche Ansteckung auch die der Kolleg*innen.

Präsentismus wirkt sich negativ auf die Leistungsfähigkeit und Produktivität aus. Beim Verschleppen einer Erkrankung folgen immer häufiger längere, für die Unternehmen kostenintensive Ausfällen.

Eine Studie von Dietz, Zacher, Scheel, Otto und Rigotti (2020), zeigt, dass sich Beschäftigte stark am Gesundheitsverhalten der Führungskräfte orientieren. Wenn diese sich trotz Krankheit keine Auszeit gönnen, folgen Mitarbeitende oft diesem Beispiel.

Kinmans zeigt in seiner Meta-Analyse (2019) auf, dass Präsentismus langfristig das Risiko für Herzerkrankungen, Depressionen und lange Fehlzeiten erhöht. Das Immunsystem wird geschwächt und chronische Erschöpfungszustände und Burnout sind mögliche Konsequenzen, welche psychische und physische Erkrankungen begünstigen.

Doch wer sich heute aus psychischen Gründen krank meldet, wird eher als leistungsunfähig stigmatisiert. Führungskräfte trauten, laut einer Studie von Dr. Tatjana Reichhart (2015), Mitarbeiter*innen mit Burnout oder Depressionen weniger für die Zukunft zu, als Menschen mit körperlichen Krankheiten, wie z. B. einer Schilddrüsenerkrankung.

In fast allen Aspekten der Arbeitsleistung wurde die psychiatrische Störung kritischer gesehen als die Diagnose einer Schilddrüsenfunktionsstörung. Ebenso wurde die „private Krise“ schlechter bewertet als die somatische Erkrankung. Damit überlegen Beschäftigte heute immer noch, ob sie statt einer psychisch-emotionalen Störung lieber eine somatische Erkrankung angeben.

Lösungswege

Neben Gesundheitsbildung kann eine gesunde Arbeitsorganisation und wertschätzende Betriebskultur unterstützen, bei der krankheitsbedingte Abwesenheit nicht mit der Angst vor möglichen negativen Konsequenzen verbunden ist.

Der Übergang von Gesundheit und Krankheit ist fließend und eine Abgrenzung ohne Gesundheitsbildung, die Fähigkeit der Achtsamkeit und Selbstfürsorge schwierig. Häufig sind Beschäftigte dazu bereit sich psychisch zu belasten, bis sich körperliche Symptome entwickeln.

Innere Unruhe, Kopfschmerzen, Verspannungen, Bauch- oder Rückenschmerzen, Schlafstörungen oder weniger Antrieb zeigen an, dass es an Zeit ist innezuhalten und zu reflektieren. Doch wie, wenn dies in unserem Bildungssystem kaum eine Rolle spielt?

Es ist wichtig, die eigenen emotionalen und körperlichen Signale zu reflektieren und ernst zu nehmen!

Achtsamkeit für die eigene Befindlichkeit und Verantwortung für die eigene Gesundheit zu entwickeln sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass wir für unser Wohlbefinden und eine gute sowie möglichst lange Leistungs- und Arbeitsfähigkeit sorgen können. So wie wir täglich Zähneputzen, sind Gesundheitsroutinen wichtig, um das eigene Wohlbefinden zu reflektieren.

Gesundheitsbildung fest in die Lebenswelten unserer Gesellschaft zu installieren, würde nicht nur helfen viele chronisch degenerative Erkrankungen zu vermeiden und die individuelle Lebensqualität zu verbessern, sondern auch die Leistungsfähigkeit von Beschäftigten und Betrieben langfristig zu sichern. Bereits in Kita und Schule genau wie in Ausbildungsbetrieben, gehören auch der Umgang mit dem eigenen Körper, die Selbstfürsorge und die Förderung des Gesundheitsverhalten als fester Bestandteil in die Curricula.

Zeit für Reflexion und der routinierte Ausgleich von berufsspezifischen physischen und psychischen Arbeitsbelastungen gehören, genau wie arbeitsspezifisches Wissen und Fertigkeiten, in die Ausbildung und den Arbeitsalltag.

Die Verbesserung der Gesundheitskompetenzen der Beschäftigten und Führungskräften kann dafür sorgen, dass diese lernen gesundheitsbewusste Entscheidungen zu treffen, welche der eigenen Gesundheit und dem Wohl des Unternehmens zu Gute kommen.

Dies wäre auch bei Führungskräften ein gutes Fundament, um gesundheitswirksame Strukturen und eine gesunde Betriebskultur zu schaffen, die Unternehmen wie Beschäftigte stärkt und sowohl Erkrankungen als auch Präsentismus reduzieren hilft.

Gesundheitsexperte im Betrieb - Förderung der psychosozialen Gesundheit

Mit dem BSA-Lehrgang „Gesundheitsexperte im Betrieb – Förderung der psychosozialen Gesundheit“ werden Sie dazu qualifiziert, Konzept zur Förderung der psychosozialen Gesundheit in einem Unternehmen aufzubauen, in die Unternehmensstruktur zu implementieren und systematisch weiterzuentwickeln.

Weitere Informationen:

Quellen:

Aronsson, G., & Gustafsson, K. (2005). Sickness presenteeism: prevalence, attendance-pressure factors, and an outline of a model for research. Journal of occupational and environmental medicine, 47(9), 958-966.

Johansen, V., Aronsson, G., & Marklund, S. (2014). Positive and negative reasons for sickness presenteeism in Norway and Sweden: a cross-sectional survey. BMJ open, 4(2), e004123.

Dietz, C., Zacher, H., Scheel, T., Otto, K., & Rigotti, T. (2020). Leaders as role models: Effects of leader presenteeism on employee presenteeism and sick leave. Work & Stress, 34(3), 300-322.

Kinman, G. (2019). Sickness presenteeism at work: prevalence, costs and management.

iga-Fakten 6, Praesentismus (2019), Initiative Gesundheit und Arbeit (iga), Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG), 01109 Dresden

Ausgabe 01/2022 des DGB-Index Gute Arbeit. Verfügbar unter https://index-gute-arbeit.dgb.de/++co++4f9f3772-948f-11ec-b9c9-001a4a160123

Mendel, R. , Kissling, W., Reichhart, T., Bühner, M., Hamann, J. (2015). Managers‘ reactions towards employees‘ disclosure of psychiatric or somatic diagnoses. Epidemiol Psychiatr. Sci, 2015 Apr;24(2):146-9. doi: 10.1017/S2045796013000711. Epub 2013 Dec 5. Verfügbar unter https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24308312/